Der 8. Mai 1945 gilt allgemein als Beginn einer neuen Ära in Deutschland, doch die tatsächliche Situation war viel komplexer. Nach der Kapitulation der Wehrmacht begann eine Phase, die Harald Jähner als „Wolfszeit“ bezeichnet: Eine Zeit ohne klare Strukturen und Ordnung, in der das Leben weiterging, obwohl es an den traditionellen Verhaltensregeln brach. Menschen lebten unter schwierigen Bedingungen – viele von ihnen waren Flüchtlinge, Entlassene aus Lagern oder Kriegsgefangene.
Jähner beschreibt in seinem Buch, wie sich Deutschland nach dem Krieg auflud: Über neun Millionen Menschen befanden sich nicht an ihrem gewünschten Ort. Die Stadtlandschaften lagen in Trümmern und das tägliche Leben war von Anspannung geprägt. In den Ruinen lebten Kinder und Erwachsene, sie schliefen auf Bahnen, Zelten oder in Nachtclubs. Es gab eine deutliche Kluft zwischen der Notlage im Alltag und dem Wunsch nach Vergnügung – Tanzlokale zogen trotz des Mangels an männlichen Partnern große Menschenmengen an.
Ein besonderes Fokuspunkt bildet die Rolle der Frauen, die in dieser Phase oft für ihren Unterhalt selbst sorgen mussten. Sie kämpften mit Übergriffen und Gewalttaten sowie den Herausforderungen des Alltags. Die Verzweiflung und Schmerzen der Menschen wurden von Jähner eindringlich dargestellt, aber auch ihre Lebenslust und Kreativität.
Das Buch „Wolfszeit“ ist ein tiefgründiger Einblick in eine Zeit, die viele Deutschen gerne vergessen würden. Es zeigt jedoch, dass die Nachkriegsphase von der aktuellen Sichtweise oft stark idealisiert oder vernachlässigt wird. Jähner hebt hervor, dass dieses Jahrzehnt sowohl Kontroversen als auch Innovationen kennzeichnete und dass es Zeit ist, diese Phase neu zu bewerten.